Montag, 19. September 2016

Eugen Ruge "Follower"

Nio Schulz lebt im Jahre 2055, in Australien werden Klimabomben gezündet, Kinder werden von ukrainischen Leihmüttern ausgetragen und statt wirklich Sport zu machen, tragen die Menschen Muskel-Silikon-Implantate. Schulz reist nach Wú Chéng in China, wo er die neusten Entwicklungen seiner Firma an chinesische Partner verkaufen soll. Doch plötzlich ist Nio Schulz vom Radar der zahlreichen überwachenden Techniken verschwunden, die die Menschen mit sich herumtragen und niemand weiß, was geschehen ist. Niemand außer Nio Schulz.
Das Jahr 2055, das Eugen Ruge in seinem Roman „Follower“ beschreibt, scheint oberflächlich sehr schräg für uns, bei genauerer Betrachtung kommt es einem jedoch schon fast wie die Gegenwart vor. Technisch weit entfernt davon sind wir keinesfalls, Ruge führt die Oberflächlichkeit und das Geltungsbedürfnis in der heutigen Zeit einfach ad absurdum. Jeder lässt sich optisch manipulieren und operieren, wo es nur geht. Alles was zählt ist das Kapital und die Macht darüber, so kann man sogar seinen eigenen Tod wirtschaftlich verwerten und seine eigene Hinrichtung verkaufen, um Geld für die Hinterbliebenen zu erhalten. In dieser Umgebung bildet die Technik den Rahmen, der alle Menschen durch den Alltag leitet, computergesteuerte Brillen und implantierte Sonden sorgen für eine ständige Kommunikation. Suspekt ist, wer nicht oder wenig kommuniziert.
„Follower“ ist in einem ganz eigenen Stil geschrieben, als ständige Aneinanderreihung von Aspekten und Handlungen, die alle fast gleichwertig nebeneinander stehen. Die Hauptfigur ist zwar eigentlich vollständig in ihrer Zeit gefestigt und hat bewusst zunächst keine Probleme mit all der Kontrolle und Oberflächlichkeit, doch dann scheint ihn der Tod seines Großvaters, zu dem es keinen Kontakt mehr gab und über den er – wie er merkt- gar nichts weiß, völlig aus der Bahn zu werfen. Diese vollständige Haltlosigkeit der Hauptfigur, ihre Orientierungslosigkeit wird durch Ruges Stil direkt erfahrbar. Es gibt keine Distanz zu Schulz, als Leser erlebt man alles unmittelbar mit. Abgegrenzt davon stehen die verschiedenen Ermittlungsprotokolle zu der Suche nach dem verschwundenen Nio Schulz, die der Autor über den Roman verstreut und die von einer unglaublichen Distanz des ganzen geschaffenen Systems den darin lebenden Menschen gegenüber zeugen. Alles passt in Parameter und was nicht hinein passt, wirkt auffällig und anders. Der Mensch ist nur noch ein Zahlenmuster und ein Diagramm, das alles über ihn aussagt.
Eugen Ruges Roman „Follower“ hat mich unglaublich fasziniert und begeistert. Man muss sich schon auf die Geschichte einlassen und sich auch selbst fragen, was es bedeutet, ein Leben wie Nio Schulz zu führen, was die Abgründe sind und wie man sich selbst dabei verlieren kann. Ich kann jedem diesen Roman nur ans Herz legen, Ruge führt uns in einem Roman, der eigentlich als Science Fiction daherkommt, genau vor Augen, was eigentlich schon heute wichtige Themen sind. 

Hier geht es zur Leseprobe und weiteren Informationen des Rowohl Verlags. 

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